IOW Logo

Faktenblatt „Blaualgen“ / Cyanobakterien

Jedes Jahr im Hochsommer geraten sie aufs Neue in die Schlagzeilen: Die so genannten „Blaualgen“ sorgen für Aufsehen, weil sie gesundheitsgefährdende Giftstoffe produzieren können. 

Parallel ließ in den letzten Jahren das Auftreten von sehr großen Algenblüten die Befürchtung aufkommen, dass im Zuge des Klimawandels und bei unverminderter Überdüngung der Ostsee die Algenblüten von Jahr zu Jahr intensiver und von größerer Ausdehnung seien. Im Sommer 2010 gipfelte dies in der Meldung, dass die gesamte Ostsee mit einem Blaualgenteppich bedeckt sei, übrigens eine Behauptung, die auf Missverständnissen beruhte und später revidiert werden musste. Was ist dran an den Horrormeldungen und wie gefährlich sind die Blaualgenblüten für Menschen und Tiere einerseits, für das Ökosystem Ostsee andererseits? Mit der folgenden Faktensammlung wollen wir zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen und grundlegende Informationen zu den Blaualgen der Ostsee bereit stellen.

1) Worum handelt es sich?
Es gibt mehrere Tausend verschiedene Arten von „Blaualgen“ auf unserem Planeten. Aber nur circa 40 Arten produzieren Giftstoffe (Toxine). Der Name „Alge“ ist genau genommen irre führend, denn bei den „Blaualgen“ handelt es sich um Bakterien. Ihr wissenschaftlich korrekter Name ist Cyanobakterien. Dennoch soll im Folgenden der eingebürgerte Begriff „Blaualge“ verwendet werden (mehr Infos unter Punkt 6).

 

2) Wie lässt sich das Ausmaß einer Blüte erfassen?

Am IOW werden regelmäßig an festgelegten Stationen Wasserproben auf ihren Gehalt an Blaualgen hin untersucht. Darüber hinaus wird in so genannten Sinkstofffallen – großen im tiefen Wasser hängenden Trichtern – aufgefangen, was an abgestorbener organischer Substanz im Laufe der Zeit absinkt. Betrachtet man die Ergebnisse dieser langjährigen Analysen, so lässt sich eine Zunahme im Wachstum der Blaualgen nicht feststellen. Aber:
Ein Blick aus dem Weltall auf die Ostsee zu Zeiten einer Blaualgenblüte verrät uns, wie dynamisch und heterogen die Entwicklung der Algenblüten abläuft. Misst man an festen Stationen das Blaualgen-Vorkommen, so ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass man das Hauptverbreitungsgebiet einer Blüte gerade nicht erwischt. Mit stationären Messungen lässt sich folglich keine Aussage zu der Entwicklung der Blaualgen in der gesamten Ostsee machen. Satellitenbilder sind da schon eher geeignet. Wenn nicht gerade eine Wolkendecke die Sicht versperrt, so erfassen sie täglich die gesamte Ostsee.

 

MERIS (ESA) Echtfarbenbild vom 31.07.2008 zeigt die Blaualgenentwicklung in der Ostsee
MERIS (ESA) Echtfarbenbild vom 31.07.2008

3) Was sieht man auf den Satellitenbildern?
Satellitenbilder sind die einzigen „Werkzeuge“, mit denen man für große Seegebiete wie die Ostsee Aussagen über die zeitliche und räumliche Entwicklung von Cyanobakterien im Oberflächenwasser machen kann. Sie liefern Informationen, wann und wo Blaualgenblüten beginnen und wohin die Matten treiben. Sie ermöglichen auch
Berechnungen, wie groß die betroffenen Seegebiete sind. Eine quantitative Aussage zur Größe der Gesamt-Blüte können sie nicht bieten. Genau das wäre aber erforderlich, um Trends zu ermitteln.
Woran liegt das? Bei klarem Ostseewasser können die Satelliten, wie das menschliche Auge, 5-10 m tief in das Wasser schauen. Wenn bei ruhigem Hochsommerwetter in der Ostsee die Blaualgen an die Wasseroberfläche treiben, so verklumpen sie zu dicken Teppichen. Im Satellitenbild sind sie bei Wolkenfreiheit deutlich zu erkennen. Sobald
der Wind stärker wird, fallen diese Teppiche in sich zusammen, was jedoch nicht immer heißt, dass keine Blaualgen mehr vorhanden sind. Auch in windreichen Sommern treten Blaualgenblüten auf. Es bilden sich dann jedoch keine auffallenden Teppiche an der Wasseroberfläche, so dass die Erfassung über Satellitenbilder nur begrenzt möglich ist. Zwar können die optischen Sensoren des Satelliten erkennen, dass sich Cyanobakterien in großen Wolken im
Oberflächenwasser vermehren. Aber nur die obersten Bereiche dieser Wolken werden wirklich erfasst (siehe oben: 5-10 m Wassertiefe).
Schwedische Kollegen haben trotzdem versucht eine Abschätzung vorzunehmen, indem sie für jeden Bildpunkt in den verfügbaren Satellitenbilder der Ostsee die Tage gezählt haben, an denen Blaualgen identifiziert wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass bezogen auf die Häufigkeit und Dauer der Blaualgenblüten das angebliche Rekordjahr 2010 ein durchschnittliches Jahr war und insgesamt im Zeitraum 1997 – 2010 kein Trend zu erkennen war.

Fazit: Eine kontinuierliche Zunahme der Intensität der Blaualgenblüten lässt sich mit den zurzeit verfügbaren Methoden nicht feststellen. Aussagen, der Klimawandel würde zu einer Zunahme der Blüten führen, sind Hypothesen. Es spricht einiges dafür, aber nachweisbar ist dieser Zusammenhang bislang noch nicht.

4) Auswirkungen einer Blaualgenblüte
a) auf das Ökosystem: Blaualgen benötigen wie die allermeisten Organismen für ihr Wachstum Phosphor und Stickstoff. Sie haben jedoch die ungewöhnliche Fähigkeit, den notwendigen Stickstoff aus der Luft zu beziehen, um ihn in ihren Zellen in Nährstoffe und Eiweiße umzubauen. Dadurch „pumpen“ sie zusätzlich Nährstoffe in ein
ohnehin überdüngtes Ökosystem. Nach dem Absterben einer Blaualgenblüte sinken große Mengen organischer Substanz auf den Meeresboden. In den zentralen Becken der Ostsee herrscht im Tiefenwasser fast ständig Sauerstoffmangel. Bei der bakteriellen Zersetzung der abgesunkenen Algenreste wird dieses Defizit vergrößert
und bei völliger Abwesenheit von Sauerstoff wird Schwefelwasserstoff gebildet. Durch umfangreiche Blüten wird dieses generelle Problem der Ostsee noch zusätzlich verschärft. Und noch ein weiter Aspekt muss betrachtet werden: Da in den Sedimenten gebundener Phosphor unter Sauerstoffmangel wieder in Lösung geht und somit dem
Nährstoffkreislauf wieder zur Verfügung steht, können große Algenblüten letztlich auch die Überdüngung verschärfen.

b) auf Mensch und Tier: Generell sind die von den Blaualgen produzierten Toxine in geringer Konzentration für gesunde Menschen ungefährlich. Wenn sich an windstillen Tagen jedoch die Cyanobakterien an der Oberfläche des Wassers konzentrieren, so kann sich in den Teppichen die Konzentration der Giftstoffe so weit erhöhen,
dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung in Form von Hautreizungen, beim Verschlucken auch Übelkeit und Erbrechen, eintreten kann. Besonders bei empfindlichen oder geschwächten Menschen ist hier Vorsicht geboten. Auch Kinder sollte man von den Teppichen fernhalten.
Bei Tieren, die mit den Toxinen angereichertes Wasser getrunken haben, ist es in der Vergangenheit wiederholt zu Todesfällen gekommen. Bekannt ist dies von Rindern, Hunden und Enten.

c) Schutz vor Schädigungen: Die einfachste Schutzmaßnahme ist, in dem „blühenden“ Wasser nicht zu baden. Das gesunde Ekelgefühl verhindert meist ohnehin, dass man in das trübe, gelbbraune Wasser steigt. Kinder haben dieses Schutzverhalten möglicherweise weniger.

 

5) Wer ist verantwortlich für Untersuchungen?
In Mecklenburg-Vorpommern überprüft das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) im Rahmen der Umweltüberwachung regelmäßig die Küstengewässer auf den Gehalt an Algen. In den Monaten Juli und August wird besonderes Augenmerk auf das Vorkommen von Blaualgen gerichtet. Das IOW unterstützt das Amt dabei, indem Satellitenbilder zur Verfügung gestellt werden.
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGUS) ist mit den Gesundheitsämtern zuständig für die regelmäßige Kontrolle der Badegewässerqualität der Strände. Dabei wird auch das Vorkommen von Blaualgen untersucht. Bei starken Aufkommen von Blaualgenteppichen und Verunreinigungen am Strand können einzelne Strandabschnitte von den Gesundheitsämtern zeitweise gesperrt werden.

 
6) Mehr Infos zu Cyanobakterien:
Die so genannten „Blaualgen“ gehören zu den Bakterien, weil sie keinen echten Zellkern besitzen. Sie sind wahrscheinlich die älteste Organismengruppe überhaupt. Sie besitzen Gasbläschen in ihren Zellen, die ihnen Auftrieb verleihen, so dass sie bei ruhiger See zur Oberfläche aufschwimmen. Ihre einzigartige Fähigkeit, im Wasser
gelösten molekularen Stickstoff aus der Luft zu nutzen, macht sie in der sommerlichen Deckschicht konkurrenzlos, so dass sie sich weitgehend ungestört vermehren können.

Ein paar Worte zu den Toxinen: Nicht alle, aber die meisten Blaualgenarten, die in der Ostsee vorkommen, enthalten Toxine, in stark variierenden Konzentrationen. Diese werden nur relevant, wenn die entsprechenden Algen in großen Konzentrationen, also in so genannten „Blüten“ auftreten. Der Begriff „Blüte“ meint nicht, dass die
Algen blühen, sondern dass sie sich massenhaft vermehren.
Die in süßwasserbeeinflussten Lagunen und Buchten auftretenden Blaualgen (z.B. die blütenbildende Gattung Microcystis mit dem Gift „Microcystin“) werden im Folgenden nicht weiter betrachtet.

In der offenen See sind zwei Arten blütenbildend: Nodularia spumigena und Aphanizomenon sp. Erstere enthält das starke Lebergift Nodularin. Die Gattung Aphanizomenon kann potenziell ebenfalls Giftstoffe produzieren, es wurden konkret in der Ostsee aber noch keine toxischen Vertreter nachgewiesen. Den Blüten ist meistens noch eine dritte Blaualgengattung beigemischt, Anabaena, die das Nervengift Anatoxin enthält. Sie tritt aber in wesentlich geringeren Biomassen als Nodularia und Aphanizomenon auf und ist deshalb weniger relevant.

Die Algen haben die Form mikroskopisch kleiner Fäden. Dadurch, dass die Fäden sich zu Aggregaten zusammenlagern, sind sie auch mit bloßem Auge zu erkennen. Nodularia spumigena bildet lockere graugrüne bräunliche Fusseln von bis zu 2 cm Länge. Aphanizomenon bildet spindelförmige, kompakte Aggregate von bis zu 5 mm Länge. Sie sind zu erkennen, wenn sie im Wasser treiben. Am Strand sind sie nicht mehr wahrzunehmen.

August 2006, Algenteppich in der Ostsee
August 2006, Algenteppich in der Ostsee
August 2006, Blaualgen in der westlichen Ostsee/Arkonabecken
August 2006, Blaualgen in der westlichen Ostsee/Arkonabecken

Weitere Informationen zu diesem Thema:

Dr. Anke Kremp, Biologische Meereskunde,
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, Tel.: 0381 5197 270
ankenull.kremp@io-warnemuende.de

Prof. Dr. Maren Voß, Biologische Meereskunde,
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, Tel.: 0381 5197 209
marenulln.voss@io-warnemuende.de

Dr. Herbert Siegel, Physikalische Ozeanographie / Fernerkundung,
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde,Tel.: 0381 5197 190
herbnullert.siegel@io-warnemuende.de