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Faktenblatt zur Sauerstoffsituation am Boden der Ostsee

 Die in der Presse oft als „Todeszonen“ bezeichneten sauerstofffreien Regionen am Boden der zentralen Ostsee haben - vereinfacht dargestellt – drei Ursachen. Zwei davon beruhen auf natürlichen Gegebenheiten.

 

1) Die Ostsee ist ein geschichtetes Meer: Bis in einer Tiefe von ca. 60 m ist das Wasser Sauerstoff-gesättigt und brackig, das heißt von nur geringem Salzgehalt. Unterhalb dieser Tiefe ist das Wasser wesentlich salzhaltiger. Die Grenze zwischen diesen beiden Wasserkörpern ist für viele Stoffe, insbesondere gelöste Gase wie Sauerstoff, quasi undurchlässig. Dagegen sinken feste Partikel wie zum Beispiel abgestorbene organische Substanz, ohne Probleme aus dem Oberflächenwasser in das Tiefenwasser hinab.

 

2) Am Boden der Ostseebecken findet permanent Sauerstoffzehrung durch die Zersetzung abgesunkener organischer Partikel statt. Durch einen Überschuss an organischer Substanz führt dies stellenweise zum völligen Sauerstoffverbrauch und zur Bildung von Schwefelwasserstoff, wodurch höheres Leben in diesen Regionen unmöglich wird. Als Ursache wird die Eutrophierung, d.h. der vermehrte Eintrag der Pflanzennährstoffe Stickstoff und Phosphor durch den Menschen angesehen. Sie verstärkt das Algenwachstum und damit letztlich auch die Menge an abgestorbener organischer Substanz, die auf den Meeresboden absinkt, wo sie unter Sauerstoffverbrauch zersetzt wird.

 

3) Der Wasseraustausch zwischen Nordsee und Ostsee ist stark eingeschränkt. Zum einen führt ein Süßwasserüberschuss in der Ostsee dazu, dass im Mittel Ostseewasser über Belte und Sund aus der Ostsee ausströmt. Zum anderen erschwert die Topografie des Übergangsgebietes noch zusätzlich den Zustrom von Nordseewasser. Nur unter ganz bestimmten meteorologischen Bedingungen strömen größere Mengen Nordseewasser durch die engen Wasserstrassen der Beltsee und über die Schwellen am Eingang der Ostsee. Diese Wassermassen können je nach Jahreszeit dann mit Sauerstoff angereichert sein. Aufgrund ihres höheren Salzgehaltes haben sie ein höheres spezifisches Gewicht als das Ostseewasser auf das sie treffen und schichten sich folglich am Boden der Ostsee ein. Bei einem großen „Salzwassereinbruch“ von bis zu 230 km³ einströmendem Nordseewasser kann auf diese Art und Weise das gesamte Bodenwasser der westlichen Ostsee bis hinein in die Gotlandsee ausgetauscht und mit sauerstoffhaltigem Salzwasser ersetzt werden. Nur auf diesem Wege können die tiefen Regionen der zentralen Ostsee mit Sauerstoff versorgt werden.

Die Ausdehnung der Gebiete mit Sauerstoffmangel

Ohne Belüftung (durch den seitlichen Zustrom von sauerstoffreichem Salzwasser) werden die Wassermassen in den tiefen Becken nach ca. 1-2 Jahren erst suboxisch (Sauerstoff-Gehalt unter 2 ml/l) und dann anoxisch (kein Sauerstoff mehr vorhanden), wobei im Extremfall der gesamte Wasserkörper unterhalb der Salzgehaltssprungschicht anoxisch werden kann. Seit dem letzten großen Salzwassereinbruch von 2003 ist die Sauerstoffzehrung soweit fortgeschritten, dass der Wasserkörper direkt unterhalb der Salzgehaltssprungschicht suboxisch, ab einer Tiefe von ca. 130 m anoxisch und schwefelwasserstoffhaltig ist.

Eine Ausbreitung der sauerstoffarmen und schwefelwasserstoffhaltigen Zonen kann nur durch Einströme von salz- und sauerstoffreichem Nordseewasser aufgehalten oder rückgängig gemacht werden. Selbst eine drastische Reduktion der Einleitung von Nährstoffen würde die Sauerstoffzehrung am Boden nur verlangsamen, nicht stoppen.
Je weiter die tiefen Becken vom Eingangsbereich der Ostsee entfernt sind, desto stärker müssen die Einströme allerdings sein, um diese Becken zu erreichen. So wird gegenwärtig das Gotlandbecken nur etwa alle 5 – 15 Jahre von einem Einstrom belüftet (das letzte derartige Ereignis war im Januar 2003, siehe Abb. 1 zu den Auswirkungen auf den Bodensauerstoffgehalt), das weiter westlich gelegene Bornholmbecken aber deutlich öfter. Dabei wird das vorher vorhandene anoxische Wasser nur teilweise „oxidiert“, der Rest wird in andere Becken verdrängt, wie das Beispiel des Salzwassereinbruches von 2003 gut belegt: nach Belüftung des östlichen Gotlandbeckens vergrößerten sich die anoxischen Bereiche im westlichen Gotlandbecken, siehe Abb. 1.

Nach schwedischen Berechungen (SMHI 2010) lag die maximale Ausdehnung der anoxischen Flächen im letzten Jahrzehnt bei ca. 40 000 km2, was etwa 10% der Ostseefläche entspricht. Sie hängt vornehmlich von der Einstromdynamik in die Ostsee ab, unabhängig davon, ob der Sauerstoffzehrungsvorgang etwas schneller oder langsamer abläuft. Untersuchungen von Ostseesedimenten weisen ausgedehnte anoxische Gebiete schon während der mittelalterlichen Warmzeit vor tausend Jahren nach, einer Zeit, in der Eutrophierung aus Landwirtschaft und Industrie so gut wie keine Rolle spielte.

Abb. 1: Suboxische (grün) und anoxische (rot) Bodenbereiche in der Ostsee. Links: Oktober 2002 (vor dem großen Einstrom vom Januar 2003); rechts: Februar 2004, als das Einstromwasser die anoxischen Regionen in der Bornholmsee und der zentralen Ostsee belüftet hatte.
Quelle: IOW (http://www.io-warnemuende.de/suboxische-und-anoxische-bereiche-im-tiefenwasser-der-ostsee.html).

Sauerstoffmangel in den Küstenzonen

Die flachen küstennahen Bereiche der Ostsee sind nicht permanent geschichtet und unterliegen deshalb einer völlig anderen Sauerstoffdynamik. Falls sie nicht im unmittelbaren Einstromweg des salzhaltigen Nordseewassers liegen, sind sie typischerweise zumindest im Winterhalbjahr gut durchmischt. Durch den dadurch gegebenen Austausch mit der Oberfläche weisen deren Bodenbereiche weitgehend gesättigte Sauerstoffkonzentrationen auf. Kommt es bei stabilen sommerlichen/herbstlichen Wetterlagen ohne Windmischung zu starker Temperaturschichtung, kann der Austausch zwischen Boden- und Oberflächenwasser jedoch für einige Tage oder Wochen unterbunden werden. Wie in den tiefen Becken der Ostsee kann es dann auch in flachen Küstenbereichen zu bodennaher Sauerstoffverarmung kommen, mit der Konsequenz, dass in diesen Bereichen die gesamte Bodenfauna (Seesterne, Muscheln etc.) abstirbt, wie zum Beispiel im Sommer 2002 (Abb. 2).

Starke Schichtung kann auch im Bereich von Flussmündungsgebieten auftreten, vor allem bei starken Abflussereignissen, wie zum Beispiel während der Oderflut im Sommer 1997. Bei solchen Ereignissen werden Sauerstoffzehrungsprozesse dadurch beschleunigt, dass die Flüsse verstärkt organisches Material und Nährstoffe in das Küstengewässer einbringen. Diese Sauerstoffmangelsituationen im Flachwasser halten in der Regel nur wenige Wochen an und werden durch den nächsten Sturm beendet. Es dauert anschließend jedoch einige Monate bis Jahre, bis der Meeresboden in diesen Gebieten wieder besiedelt ist. Wie in den tiefen Becken beschleunigt die Eutrophierung auch im Flachwasser die Sauerstoffzehrungsrate.

Sauerstoffmangel in der westlichen Ostsee im September 2002 (LANU 2002); mg/l *0.7005 = ml/l
Abb. 2: Sauerstoffmangel in der westlichen Ostsee im September 2002 (LANU 2002); mg/l *0.7005 = ml/l

Langzeittrends

Sowohl für die tiefen Becken als auch für die Küstengewässer ist das Wettergeschehen im Vergleich zur Eutrophierung der wichtigere Einflussfaktor für die Dynamik der Sauerstoffkonzentration im Bodenwasser. Wegen der hohen Wettervariabilität und dem seltenen Eintreten extremer (aber für die Bodenbelüftung entscheidender) Wetterlagen ist es nicht möglich, klare Aussagen über Langzeittrends zur Ausdehnung von Sauerstoffmangelsituationen in der Ostsee zu machen. Der oben beschriebene große Anteil anoxischer Flächen in den Tiefenbecken der Ostsee im letzten Jahrzehnt ist jedoch vor allem dem Ausbleiben großer Salzwassereinbrüche geschuldet.

Weitere Informationen zu diesem Thema:

Dr. Rainer Feistel,
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, Tel.: 0381 5197 152
rainnuller.feistel@io-warnemuende.de