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Der Mann der Meere – Prof. Dr. Gotthilf Hempel zum 90. Geburtstag

Gotthilf Hempel wirkte nach der Wende als Vorsitzender des Gründungskomitees und als erster Direktor von 1992 - 1997 maßgeblich an der Neugründung und Ausgestaltung des IOW mit. (Foto: IOW)

Am 8. März 2019 ist Gotthilf Hempel 90 Jahre alt geworden. Die heute international mitbestimmende Rolle der Meeresforschung in Deutschland ist von seinem Namen nicht zu trennen. Er war Geburtshelfer für gleich mehrere bedeutende deutsche Meeresforschungseinrichtungen, unter anderem für zwei Leibniz-Institute: das IOW und das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT). Die ZMT-Kollegen haben ihrem Gründungsdirektor ein sympathisches und ausführliches Portrait aus der Feder von Bettina Mittelstrass gewidmet, dem kaum noch etwas hinzuzufügen ist. Anlässlich seines Geburtstages hier die leicht gekürzte Fassung (vollständiger Text hier):

 

Gotthilf Hempel ist einer der wichtigsten Zeitzeugen deutscher Meeres- und Polarforschung nach dem zweiten Weltkrieg. Er hat vier weltweit bedeutende Meeresforschungsinstitute in Bremen, Bremerhaven, Kiel und Warnemünde aufgebaut und geprägt. Er war 1000 Tage auf Forschungsschiffen in allen Himmelsrichtungen unterwegs – in der Antarktis und Arktis, den Tropen, in Nord- und Ostsee. […]Er hat geforscht, gelehrt, geschrieben, geredet und beraten und rät und redet und schreibt noch immer über die marinen Welten, die sein Leben sind. Gotthilf Hempel ist der weise alte Mann der Meere.

Es gibt ein Leben vor dem Meer für Gotthilf Hempel. Der am 8. März 1929 geborene Göttinger wächst in einer liberal gesinnten Theologenfamilie auf, erlebt in Berlin als Schüler den Bombenkrieg und später ein Flüchtlingsdasein, studiert in Mainz und Heidelberg Biologie und Geologie. Mit 23 Jahren verlobt er sich mit Irmtraut Schneider, die mit ihm studiert hat. In der Tasche hat er eine Dissertation über den Energiebedarf der Fortbewegung von Insekten sowie ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Letzteres führt ihn 1952 nach Wilhelmshaven an das Max-Planck-Institut für Meeresbiologie – ein Glück für die marine Forschung, denn eigentlich, erzählt er gern, sei er nur aus gesundheitlichen Gründen an der See gelandet und daher Meeresbiologe statt Zoologe geworden.

Auf zur See
In Wilhelmshaven lernt er von Adolf Bückmann, einem international bekannten und vernetzten Fischereibiologen, die raue See und ihre Fische lieben. […]Anfang der 50er Jahre [macht er sich] auf Forschungsfahrten mit dem Vermessungsschiff Gauss des Deutschen Hydrographischen Instituts (1990 aufgegangen im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie) in Nordsee und Nordatlantik mit der Ozeanographie vertraut. Heringe und ihre Brut werden sein Spezialgebiet. Von Wilhelmshaven folgt der junge Wissenschaftler, gemeinsam mit Irmtraut, die er 1952 heiratet, seinem Mentor Bückmann nach Hamburg an das Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Hamburger Universität. Weil dieser zugleich die Biologische Anstalt Helgoland ausbaut, ist Gotthilf Hempel 1959 einer der ersten Wissenschaftler und zivilen Bewohner […]der rauen Nordseeinsel, nachdem sich das britische Militär zurückgezogen hat. Bückmanns internationale Kontakte und die frühen Erfahrungen enger Zusammenarbeit von Universität und außeruniversitären Forschungsinstituten prägen den jungen Fischereibiologen [Hempel, der] in dieser Zeit […]Mitglied des Advisory Committee on Marine Resources Research (ACMRR) der Welternährungsorganisation (FAO) wird. Hier begegnet er der Weltelite der Fischereiforschung. Im International Council for the Exploration of the Sea (ICES), dessen Präsident er zwanzig Jahre später wird […].

1964 habilitiert sich Gotthilf Hempel an der Universität Hamburg. In drei anschließenen Wanderjahren erweitert er seinen Horizont auf einer Vertretungsprofessur für Limnologie in Wisconsin/USA und in Paris im Sekretariat der jungen Intergovernmental Oceanographic Commission der UNESCO. Dort arbeitet er daran, die Meeresforschung in den Nachfolgestaaten ehemaliger Kolonien aufzubauen. Die auf vielen Reisen gesammelten Erfahrungen motivieren und bestärken den […] jungen Wissenschaftler darin, dass es für die Deutsche Meeresforschung auf die Einbindung in die internationale Gemeinschaft und den Auf- und Ausbau von universitätsnahen und global agierenden Instituten ankommt, um weltweit effiziente kooperative meereswissenschaftliche Forschung und Ausbildung möglich zu machen. […]

1967 [wird Hempel] auf den Lehrstuhl für Fischereibiologie am Institut für Meereskunde in Kiel berufen […], das er von 1972 bis 1976 als geschäftsführender Direktor leitet und wo er bis 1981 bleibt […]. Die Jahre am Institut für Meereskunde werden sehr fruchtbar. Er entwickelt ein umfangreiches Programm an Vorlesungen, Praktika, Seminaren und den besonders beliebten Auslandsexkursionen, Die Fischereibiologie wird zur marinen Ökosystemforschung ausgeweitet. Es geht um Meeresverschmutzung und Überfischung, komplexe Nahrungsnetze und langfristige ozeanographische Veränderungen – das Wort Klimawandel war noch nicht erfunden. Deutsche und ausländische Doktoranden bearbeiten Themen vor der Haustür in der Kieler Förde aber auch fernab, z.B. an der Küste Nigerias.[…]

Ein unruhiger offener Geist ist immer unterwegs und sucht neue Aufgaben. Seinen 50. Geburtstag verbringt Gotthilf Hempel auf dem Forschungsschiff Meteor am Äquator Zwei Jahre später wird es Zeit für eine Phase mehrerer Institutsgründungen, denen Gotthilf Hempel den Stempel seiner eigenen Vielseitigkeit aufdrückt.

Vom Äquator an die Pole
Im Jahr 1981 geht Gotthilf Hempel als Gründungsdirektor des Alfred-Wegener-Instituts nach Bremerhaven und etabliert in der Bundesrepublik Deutschland die meereswissenschaftlich ausgerichtete Polarforschung. Er setzt um, was ihn geprägt hat: Wer hier leitet und forscht, lehrt zugleich an den Universitäten Bremen, Kiel oder Oldenburg, die Ausrichtung der Forschung ist international und interdisziplinär. Mit dem eisbrechenden FS Polarstern können nun große internationale Gemeinschaftsprojekte in Angriff genommen werden. So nimmt die junge deutsche Polarforschung schnell einen wichtigen Platz in der internationalen Gemeinschaft ein und Gotthilf Hempel reist auf Forschungsschiffen mit internationaler wissenschaftlicher Besatzung über die Meere – mehr als 1000 Tage auf der FS Meteor oder FS Polarstern und anderen Schiffen. […]

Ursprünglich wird das Alfred-Wegener-Institut nur als Einrichtung für die Polarforschung geplant, die sich im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern des Antarktisvertrages vor allem den Meeren widmen soll. Wegen des hohen logistischen Aufwandes wird es zur (kleinsten) nationalen Großforschungsanstalt. […]An der Universität Kiel, deren Professor er auch während seiner Tätigkeiten in Bremerhaven und Bremen bleibt, gründet er fast zeitgleich das Institut für Polarökologie, dessen Direktor er 1982 wird. […]Insgesamt promovieren ca. 70 Studierende bei Gotthilf Hempel in den drei Jahrzehnten seiner Kieler Lehrtätigkeit. […]Der Springer-Verlag in Heidelberg möchte eine neue internationale Zeitschrift „Polar Biology“ begründen und überredet Gotthilf Hempel, assistiert von seiner Frau, die Schriftleitung zu übernehmen. […]Das Ehepaar [erfüllt die anspruchsvolle Aufgabe erfolgreioch über] 25 Jahre […]. Irmtraut ist die geheime Redakteurin ihres Mannes. Es gibt kaum eines seiner Manuskripte, das sie nicht vor der Veröffentlichung kritisch gelesen hat.

... und zurück in die Tropen
Schluss mit kalten Füßen befindet Gotthilf Hempel 1992, als er das AWI und damit nach 12 Jahren die Polarforschung in Bremerhaven verlässt. Mit 63 Jahren zieht es ihn in die Tropen und sein früher schon reges Interesse für den Aufbau der Meereswissenschaften in Ländern des Globalen Südens in internationalen und interdisziplinären Projekten regt sich wieder. Er bringt mit dem Bremer Senat das ZMT auf den Weg […]. Das Zielgebiet sind die Küstenregionen der Tropen und Subtropen. Hierfür erhält das Institut drei Aufgaben: Natur- und sozialwissenschaftliche Forschung, Ökologische Aus- und Weiterbildung gemeinsam für ausländische und deutsche Studierende sowie Kommunikation und Koordinierung partnerschaftlicher Forschungsprojekte in diesen Regionen. So gerät mit den tropischen Küsten nach Antarktis, Arktis und Südatlantik eine ganz neue Erdregion in den Fokus der Bremer Meereswissenschaften. Eine wesentliche Grundlage für den Aufbau des jungen Instituts bildet das […] „Mangrove Dynamics and Management“-Projekt [in] Brasilien; die Forschung an Korallenriffen gewinnt Mitte der Neunziger Jahre immer stärkere Bedeutung […], das ab 1995 für das Rote Meer-Programm […] verantwortlich zeichnet. Da feiern Israelis, Palästinenser, Jordanier, Ägypter und Deutsche gemeinsam an Bord der Meteor im Golf von Aqaba den 70. Geburtstag von Gotthilf Hempel.

Das ZMT ist für Gotthilf Hempel die Umsetzung einer Aufgabe, für die er sich schon während seiner Tätigkeit in der Intergovernmental Oceanographic Commission der UNESCO (1964 -1966) stark gemacht hatte: den konsequenten und nachhaltigen Aufbau von Partnerschaften in den Meereswissenschaften. Das ZMT gründet er [auch] ausdrücklich mit Blick auf diese zentrale Aufgabe […].

Rolle im Zuge der deutschen Wiedervereinigung
Seit 1990 im Zuge der deutschen Wiedervereinigung ist er als Mitglied des Wissenschaftsrates ein gefragter Experte, um die wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR in ein gesamtdeutsches Wissenschaftssystem zu integrieren. Er bewertet mit einer Arbeitsgruppe alle Akademieinstitute für Geowissenschaften im weitesten Sinne und reist dazu kreuz und quer durch die ganze ehemalige DDR von Rügen bis zum Erzgebirge. Es gilt, die Forschung an den Universitäten zu stärken und neue national und international konkurrenzfähige Forschungseinrichtungen zu schaffen. Er bemüht sich dabei, so behutsam wie möglich vorzugehen. „Wir sind Gutachter, keine ‚Schlechtachter‘“ sagt Hempel zum Auftakt jeder Evaluation. In einem zweiten Durchgang wird ein zweibändiges Gutachten über die Umweltforschung im wiedervereinigten Deutschland erstellt. Gotthilf Hempel legt Wert darauf, dass sich dabei auch ostdeutsche Kollegen an der Bewertung westdeutscher Einrichtungen maßgeblich beteiligen.

Nach der Begutachtung kümmert er sich um die Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates für die Polar- und Meeresforschung der DDR. Die über mehrere Institute verteilte, meist geowissenschaftlich orientierte Polarforschung wird in der neugeschaffenen Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts zusammengeführt. Das [bereits in den 1950er Jahren gegründete] Institut für Meereskunde der DDR in Rostock-Warnemünde wird zum IOW […]umgebaut. Nachdem die Berufung des designierten Direktors scheitert, wird Hempel [1992] bis 1997 Direktor des IOW, das [aufgrund seiner bereits bestehenden langjährigen Expertise] schnell ein wesentliches Glied im Netzwerk der deutschen Meeresforschung wird. Es bemüht sich aber zugleich um die Weiterentwicklung der alten Kontakte zu den Forschungspartnern in der östlichen Ostsee. Auch nach Namibia ins Auftriebsbiet des Benguela-Stromes gibt es alte Beziehungen, die nun mit neuen Mitteln aufgefrischt werden. Dabei entsteht eine fruchtbare Kooperation des IOW mit dem jungen ZMT in Bremen.

Viel Meer, viel Ehr…
Die steile Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die heute international mitbestimmende Rolle der Meeresforschung in Deutschland sind von dem Namen Gotthilf Hempel nicht zu trennen. Viele Jahre lang ist er Vorsitzender der zentralen westdeutschen und europäischen Kommissionen der Meeresforschung. Er berät den Bremer Senat beim Ausbau des Wissenschaftsstandortes Bremen/Bremerhaven. Dabei setzt er sich z. B. für die Ansiedlung eines Max-Planck-Instituts in Bremen ein: Das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie wird [ebenfalls] im Jahr 1992 […]gegründet.

Zahlreiche Ehrungen werden Gotthilf Hempel zuteil – 1993 unter anderem das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. 2004 verleiht ihm der Bremer Senat seine Medaille für Kunst und Wissenshaft; […]die Stadt Bremerhaven macht ihn zu ihrem Ehrenbürger. Er ist Mitglied der Akademia Europaea, der Königlichen Niederländischen Akademie der Wissenschaften und der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Die Meere, die internationalen Institute im engen Austausch mit universitärer Forschung und Ausbildung und ihre Stärkung sind und bleiben das Wichtigste im Berufsleben von Gotthilf Hempel. Im Kreis junger internationaler Meeresforscher fühlt er sich am wohlsten. […] Sein reiches Wissen findet auch Niederschlag in meeresbiologischen Lesebüchern[, beispielsweise das im Springer-Verlag erschienene Faszination Meeresforschung: Ein ökologisches Lesebuch…].

Das Ehepaar Hempel hat zwei Söhne, fünf Enkel, einen Urenkel und ein Hobby: den Denkmalschutz. Für die Restaurierung der Altäre alter Dorfkirchen in Mecklenburg haben sie die Stiftung „Kirche im Dorf“ eingerichtet und unter das treuhänderische Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gestellt. Legendär ist sein meeresökologischer „Dämmerschoppen“, den der Unermüdliche vor 40 Jahren in Kiel ins Leben ruft und mit seiner Frau vor zehn Jahren in Bremen wieder erweckt [und auch jetzt noch, im Alter von stolzen 90 Jahren, durchführt]. Einmal im Monat lädt er rund ein Dutzend Meeresforscherinnen und -forscher […] zum wissenschaftlichen Gespräch ans ZMT. Die Themen sind so vielfältig wie die Runde […]; der wissenschaftliche Diskurs […] lebt [dabei] nicht nur von dem versammelten Fachwissen, sondern vor allem von Gotthilf Hempels Moderation mit Humor, Wortwitz und ansteckender Begeisterung für das Forschen. Wenn es ihm dabei immer auch um disziplinäre Grenzüberschreitungen geht, dann ist das für sein Denken zutiefst konsequent: Was nützen schon eng gesteckte Routen, wenn es um die Weite und Tiefe und den Erhalt unserer Meere geht.

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