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FS A.v.Humbold

Mit dem Forschungsschiff "A. v. Humboldt"

unterwegs

Vom 5. - 11. Januar 2000 war das Forschungsschiff A.v.Humboldt für das IOW in der westlichen Ostsee unterwegs. Ziel war die Überprüfung des Salzgehaltes des Tiefenwassers. Herbst und Winter sind die Zeiten, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sturm große Mengen an Salzwasser aus der Nordsee in die Ostsee drückt, am größten ist. Mit dem Salzwasser kann dann auch Sauerstoff in die Tiefenbecken der Ostsee gelangen - also ein äußerst wichtiger Prozess für die Ostsee, der allerdings in den letzten Jahrzehnten sehr selten geworden ist. Deshalb fahren die Meeresforscher des IOW jedes Jahr im Januar in die westliche Ostsee, um nach Hinweisen für einen solchen Salzwasser-Einbruch zu suchen.

In diesem Jahr wurden sie begleitet von Herrn Dipl.-Geograph Reinhard Hoheisel-Huxmann vom Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, seine Eindrücke von der Fahrt niederzuschreiben und mit Photomaterial zu ergänzen. Dafür an dieser Stelle noch einmal: Herzlichen Dank!

Die im Folgenden beschriebene Fahrt ist Teil des Baltic Monitoring Programme der HELCOM, einem Programm zur Überwachung der Meeresumwelt der Ostsee. Wissenschaftlicher Fahrtleiter war Dr. Wolfgang Matthäus, Physikalischer Ozeanograph am IOW und Experte für Salzwassereinbrüche.

Die Fahrt SWE 2000: Auf der Suche nach den Spuren eines Salzwasser-Einbruchs

 

FS A.v.Humbold
Liegeplatz der A.v.Humboldt im Fischerhafen Rostock-Marienehe

Auftakt

Rostock-Marienehe, 5. Januar 2000, 09.57 Uhr: Leinen los zur ersten Fahrt des Forschungsschiffes A.v.HUMBOLDT im Jahr 2000. Blauer Himmel, Sonne und ein geradezu laues Lüftchen. Und der Meteorologe stellt anhand von Mittelfrist-Vorhersagekarten Hochdruckkeile und Hochdruckbrücken über der westlichen Ostsee in Aussicht - schau'mer mal. Ansonsten eine gastfreundliche Besatzung. Was will man mehr?

Vor Warnemünde Kurs West, später Nordwest Richtung Kieler Bucht. Was liegt nun an in den nächsten Tagen?

Geländestruktur der Ostsee
Kieler Bucht
Das Hauptprofil Kieler Bucht bis Bornholm Becken

Zum Hintergrund der Fahrt : Die Ostsee - Nebenmeer mit Eigenheiten

Charakteristisch für die Ostsee ist ihre Becken/Schwellen-Gliederung. Während etwa die Darßer Schwelle eine Satteltiefe von 18m hat, erreicht z.B. das Bornholm-Becken rund 100m Tiefe oder das östliche Gotland-Becken 250m. Die Ostsee hat also eine deutlich andere Topographie als die insgesamt 'ebene' und flache Nordsee.

Diese Geländestruktur hat weitreichende Folgen: Wird das Tiefenwasser in den abgeschlossenen Becken nicht genügend mit Sauerstoff 'belüftet', so bildet sich Schwefelwasserstoff - eine lebensfeindliche Zone entsteht, Fische und Fischbrut sind in Gefahr.

Welche Möglichkeiten bietet nun die Natur, Sauerstoff von der Oberfläche in die Tiefe zu transportieren? Oberflächenwasser, welches im Kontakt mit der Atmosphäre genügend Sauerstoff aufnehmen konnte, muß auf den Boden des Meeresbecken sinken.

Das passiert in Süßwasser-Seen oder auch der Bottensee, deren Salzgehalt bereits äußerst gering ist, wenn im Winter das Oberflächenwasser stark auskühlt. Durch die dann größere Dichte sinkt es ab und durchmischt den gesamten Wasserkörper bis zum Boden.

Für die eigentliche Ostsee gibt es jedoch nur eine Möglichkeit an Sauerstoff zu kommen: Salzwasser aus der Nordsee, welches dort bzw. im Übergangsbereich zwischen Nordsee und Ostsee im Kontakt mit der Atmosphäre stand, strömt in die Ostsee ein und sinkt ab, weil es viel schwerer ist als das Brackwasser der Ostsee. Zum Vergleich: im Skagerrak mißt man 30‰ Salz an der Oberfläche, während es in der Ostsee bei Rügen nur etwa 8‰ sind.

Leider hat die Natur diese Sauerstoff-Versorgung der Ostsee nicht gerade begünstigt: das Bodenrelief der westlichen Ostsee mit der Darsser Schwelle als markantem Riegel behindert diesen Wasseraustausch. So ist die Ostsee auf des Aeolus Hilfe angewiesen. Ideal ist dabei eine orkanartige Wechselwetterlage: Ein Nordost-Sturm müßte das brackige Ostseewasser durch die Belte in das Kattegat drücken und so eine 'Entleerung' der Ostsee bewirken - ein um 40 bis 50cm niedrigerer Wasserstand kann so durchaus zustandekommen und damit einen gewissen 'Sog' erzeugen. Dem sollte dann ein West- bis Nordweststurm folgen, der das salzige Skagerrakwasser gewissermaßen 'mit Schwung' nach Süden in die Ostsee treibt.

Ein solche Situation ist allerdings eher selten - zuletzt gab es 1993 einen solch vehementen Salzwassereinbruch (kurz SWE). Als Zahl bedeutete 'vehement' damals größenordnungsmäßig 250 Kubikkilometer Salzwasser, das in kurzer Zeit zwischen den dänischen Inseln hindurchgepreßt wurde - immerhin eine Wassermenge, die die ganze Bundesrepublik hüfttief überflutet hätte. Diese Masse überfloß damals Schwelle um Schwelle und füllte die Becken auf, bis sie nach Monaten auch das tiefe Gotland-Becken erreichte und 'belüftete' - der Schwefelwasserstoff mußte weichen.

Der Alltag in den Ostseezugängen ist weniger dramatisch. Je nach Wetterlage strömt dort laufend Wasser in die eine oder andere Richtung - aber es ist allemal zu wenig, um die Tiefenzonen nachhaltig mit Sauerstoff zu versorgen. Die Situation ist also von Natur aus grundsätzlich prekär, unabhängig davon, daß der Mensch mit sauerstoffzehrenden Nährstoffeinträgen sie noch zusätzlich verschärft.

Um die Verhältnisse zu überwachen, haben die Ostsee-Anrainer 1974 das Helsinki-Abkommen geschlossen, nach und nach ratifiziert und in die Tat umgesetzt. An diesem Baltic Monitoring Programme beteiligte sich schon zu Zeiten der DDR das damalige Institut für Meereskunde in Warnemünde. Heute wird der deutsche Part im Auftrag des Bundes vom Institut für Ostseeforschung Warnemünde wahrgenommen, das jährlich fünf Terminfahrten unternimmt, um mit einem Standard-Meßprogramm festgelegte Datenprofile zu erheben.

In diesem Zusammenhang ist die A.v.HUMBOLDT nun auf dem Weg zur Anfangsposition für eine West-Ost-Profillinie von der Kieler Bucht bis in das Bornholm-Becken.

Nebenbei bemerkt: Diplomatische Vorarbeiten

Fahrtleiter Dr. Matthäus wird während der Fahrt nicht frei wählen können, welche Stationen er aus wissenschaftlicher Sicht anläuft. Da die Positionen alle in den Wirtschaftszonen oder gar Hoheitsgebieten anderer Ostseestaaten liegen, muß monatelang vor Fahrtantritt die Reiseplanung auf diplomatischem Weg angemeldet werden. Auf dem gleichen Instanzenpfad wird sie zurückgeleitet, in aller Regel genehmigt, aber gelegentlich mit Auflagen versehen, etwa was die Meldepflicht oder die Begleitung durch einen Beobachter betrifft.

Sind Positionen nicht beantragt, können sie auch nicht nach aktueller Lage - z.B. weil sich ein Salzwassereinbruch abzeichnet - ad hoc einbezogen werden. Verstieße der Kapitän oder Fahrtleiter gegen dieses Reglement, riskierte er jedenfalls Sanktionen, und sei es auch nur, künftig keine Erlaubnis mehr zu erhalten.

In einer Epoche, in der Europa zusammenwächst, scheint dies dem Beobachter von außen ein wenig wie der Rückfall in die Zeit vor dem Zollverein. Aber immerhin, man arbeitet daran, den Forschungsschiffen eine allgemeine Jahreserlaubnis zu erteilen, damit sie ihren international vereinbarten Monitoring-Aufgaben nachgehen können.

FS A.v.Humbold
Die Humboldt auf Station, mittschiffs die geöffnete Klappe des Windenfahrstandes
Sensorenkombination
Rosette aus Wasserschöpfern, in der Mitte der Sensorenblock
Sensorenkombination
Blick aus dem Windenfahrstand auf die fierbereite Rosette
Messtechniker H. Will
Meßtechniker H. Will im Überwachungsraum neben dem Windenfahrstand

Jetzt wird´s ernst: Messen und Probenahme auf Station

Nach gut fünf Stunden Marschfahrt steht das Schiff auf der ersten Position des Schnitts. In der Ferne ist in der letzten Dämmerung Kiel Leuchtturm zu erkennen.

 

Nach der Meldung von der Brücke wird eine Außenbordsklappe vor dem Windenfahrstand nach oben gefahren. Diese geschützte Arbeitssituation ist eine gewisse Besonderheit, die die betroffenen Fahrtteilnehmer sehr zu schätzen wissen - allemal bei ungestümerem Wetter.

 

Das Standardgerät für die Stationsarbeit ist eine Sensorenkombination, die Temperatur, Leitfähigkeit (als Maß für den Salzgehalt) und Druck (als Maß für die Tiefe) mißt, dem Insider unter dem Kürzel CTD geläufig (C für conductivity, T für temperature, D für depth). Zwei weitere Meßgeräte liefern den Sauerstoffgehalt und die Fluoreszenz (als Indikator für planktonisches Chlorophyll). Umgeben ist dieses Paket an Meßgeräten von einer Rosette aus 13 Kunststoff-Wasserschöpfern.

 

An einem Galgen wird diese Gerätekonfiguration außenbords geschwenkt, und der Windenfahrer läßt sie auf etwa 5m Wassertiefe ab - gerade eben läßt sich der gelbe Rahmen noch erkennen. Dann folgt eine fünfminütige Wartezeit, in der sich das Gerät der Wassertemperatur anpaßt, durchgespült wird und die Luftblasen aus allen Winkeln entweichen können.

 

Schließlich ein Kommando vom Überwachungsraum neben dem Fahrstand - die Rosette wird nochmals bis unter die Oberfläche zum 'Nullpunkt' aufgeholt, um dann mit 0,5 m/sec - Fahrstuhlgeschwindigkeit - gleichmäßig gefiert zu werden. Sobald der Druckwert dem Rechner signalisiert, daß eine der vorgewählten Tiefenstufen erreicht ist, geben Magnetschalter die Deckelbefestigungen des jeweiligen Schöpfers frei. Durch starke Gummibänder werden die Deckel in Sekundenbruchteilen auf beiden Seiten auf die Rohröffnungen gezogen und 5 Liter Wasser aus einer definierten Tiefe sind gesichert.

 

Auf dem Monitor läßt sich nicht nur der Weg der Rosette verfolgen - gleichzeitig entwickeln sich auch die Kurven der gemessenen Parameter. Kurz vor Erreichen des Bodens stoppt der Windenfahrer auf Zuruf; die Bodenwasserprobe wird durch ein manuelles Signal genommen, ebenso die Oberflächenprobe, die ganz zuletzt erfolgt, bevor die Rosette auftaucht und wieder eingeschwungen wird.

 

Der normale Stationsablauf nimmt bei einer Wassertiefe von rund 100 m etwa eine Viertelstunde in Anspruch, bei Vergleichsmessungen zur Kalibrierung etwas mehr. Er wiederholt sich nun 31mal, bis das Profil nach 240 Seemeilen im Bornholm-Becken vollständig ist. 

 

Die Stationen folgen dem Weg des Salzwassers. Die Abstände betragen zwischen 3 und 20 Seemeilen; dort, wo eine größere Prozeßdynamik in der Tiefe zu erwarten ist, liegen sie enger beieinander, um die räumliche Auflösung zu erhöhen. Die Tiefe nimmt schrittweise zu, von 17m in der Kieler Bucht über 45m im Arkona-Becken bis auf 95m im Bornholm-Becken.

 

Die Stationen folgen dem Weg des Salzwassers. Die Abstände betragen zwischen 3 und 20 Seemeilen; dort, wo eine größere Prozeßdynamik in der Tiefe zu erwarten ist, liegen sie enger beieinander, um die räumliche Auflösung zu erhöhen. Die Tiefe nimmt schrittweise zu, von 17m in der Kieler Bucht über 45m im Arkona-Becken bis auf 95m im Bornholm-Becken.

Chemietechniker B. Wachs
Chemie-Techniker B. Wachs am Analyserechner

Weiter geht´s!

Kaum ist die Rosette wieder sicher auf ihrer rutschhemmenden Leinenspirale abgesetzt, wird die Außenbordsklappe geschlossen; Meldung an die Brücke, und das Schiff nimmt Kurs auf die nächste Station.

Auf dem Monitor im Überwachungsraum werden mit Hilfe der am IOW entwickelten Fahrtverfolgungs-Software die nächsten relevanten Informationen angezeigt: Stationsnummer und -position, Solltiefe, Fahrtrichtung, zu erwartende Fahrtdauer, dazu die Umgebungsdaten wie Windgeschwindigkeit und -richtung, Wasser- und Lufttemperatur, Salzgehalt, Luftdruck etc., sowohl aktuell wie auch in ihrem Verlauf der letzten Stunden. Die nackten Zahlen sind durch Grafiken und eine Karte ergänzt.

Der "Vater" dieser Software, Diplom-Ingenieur Peter Wlost aus der Arbeitsgruppe Meßtechnik am IOW, macht diese Reise selbst mit, um das Programm im Kontakt mit seinen Anwenderkollegen aus der Praxis heraus weiterzuentwickeln. Mit Recht ist er auf sein Produkt stolz, auch deshalb, weil es gelungen ist, die integrierende Reisedokumentation auf ein anderes Forschungsschiff, die SONNE, zu 'exportieren'.

Die gewonnenen Stationsdaten werden von den Meßtechnikern zunächst einmal sorgfältig abgespeichert und sicherheitshalber ausgedruckt. Aus den Schöpfern werden die Wasserproben abgefüllt, die der Chemiker dann analysiert.

Teils geschieht dies wie beim Sauerstoff in altehrwürdiger Handarbeit nach der klassischen WINKLER-Methode nach 1888 - Versetzung der Probe mit Reagenzien, die zu einem Niederschlag führen, der bei seiner Auflösung mit Hilfe von Schwefelsäure Jodid-Ionen freisetzt. Mit einem automatischen Meßgerät wird dann durch Zugabe einer Titerlösung das Sauerstoffäquivalent festgestellt.

Um die Nährstoffe Nitrat, Nitrit, Phosphat und Silikat dingfest zu machen, bedient er sich eines Autoanalyzers. Die Reagenzien werden den Wasserproben automatisch zugeführt und bewirken eine Färbung, deren Intensität proportional zur Konzentration der Nährstoffe ist. Die so veränderten Proben werden jetzt durch eine Meßstrecke geschickt, in der bei verschiedenen Wellenlängen die photometrische Charakterisierung erfolgt. Aus diesen Werten läßt sich dann die Konzentration der Inhaltsstoffe ermitteln.

Die Meßdaten sind allerdings nur das Rohmaterial für den weiteren Auswertungsprozeß; ihre Zuverlässigkeit muss anhand von Kalibrierungsdaten geprüft werden und unsinnige Werte werden durch Plausibilitätsüberlegungen entfernt, kurz: die Daten werden validiert, um eine hohe Datenqualität für die international zugänglichen Datenbanken zu sichern - insgesamt ein Prozeß, dem man eine hohe Bedeutung zumißt.

Wenn alle vom Wetter reden - dann auch wir

Angeglichen an die Temperatur des Oberflächenwassers, zeigt die Lufttemperatur mit 4 bis 5 °C rund um die Uhr wenig Neigung zum Extrem. Die Windgeschwindigkeit pendelt um Beaufort 4 - Mäßiger Wind, allerdings nur bis auf die Höhe Rügen. Danach frischt es auf, denn der Wind aus südlichen Richtungen hat einen langen 'Anlauf' über die freie See. Entsprechend nimmt der Seegang zu; es reicht sogar dazu, daß einige Wellen auch in den Windenfahrstand schlagen - wie segensreich sind doch die hochgezogenen Sülle zu den anderen Räumen.

Nach 33 Stunden ist der erste Profil-Schnitt mitten in der Nacht absolviert. Zum Ende hin herrscht Starker bis Steifer Wind mit Windgeschwindigkeiten zwischen 12 und 15 m/sec (rund 45 bis 55 km/h), in Böen auch schon mal etwas mehr. Dem Autofahrer erscheinen diese Werte wahrscheinlich kaum der Rede wert, aber auf See wirken sich diese Geschwindigkeiten doch deutlich auf die 'Straßengüte' aus.

Die Wellenhöhe ist schwer zu schätzen, aber 3m werden ganz sicher erreicht und wohl auch überschritten. Jedenfalls 'schaukelt' das Schiff ganz gut - ein Vorhang in der Kammer zeigt als Krängungsmesser verläßlich 15 bis 20 nach jeder Seite.
  Als Forschungsschiff, das seine schiffbauliche Charakteristik dem Fischdampferbau der Wolgaster Peene-Werft verdankt, sind die Bewegungen der HUMBOLDT jedoch 'gefühlvoll ausgeglichen' - in langen Rollbewegungen 'reitet' sie die von Steuerbord einkommenden Seen ab und nur gelegentlich läßt ein vierkant gegen die Bordwand krachender Brecher die Verbände erzittern und Gischtschwaden über das Schiff fliegen. Gleichwohl hat sich der Magen auch schon mal besser gefühlt.

Das Programm des nächsten Tages hängt vom Wetter ab, weniger vom vorhergesagten als vom tatsächlichen. Über Nacht läßt der Kapitän daher das Schiff treiben, zum Ankern geht die See zu hoch.

Am nächsten Morgen ist die Position um rund 5 Seemeilen nach Nordost versetzt, aber die oberflächennahe Luftschicht hat sich wieder beruhigt: blauer Himmel, Sonne und eine mäßige Brise, die See schwappt undramatisch gegen die Bordwand.

Erste Ergebnisse

Während der nächste Fahrtabschnitt beginnt, bereiten die Meßtechniker die Datenflut am Rechner auf - an Megabytes ist kein Mangel. Augenfreundliches Ergebnis sind farbige Grafiken, die einen eingängigen Überblick über den Zustand des Wasserkörpers geben. So zeigt einer der Längsschnitte sehr übersichtlich, daß der Salzgehalt von der Kieler Bucht (22‰) bis zur Darßer Schwelle stetig abnimmt und daß im Arkona-Becken eine etwa 10m mächtige Bodenwasserschicht mit 16-17‰ liegt.

Über einen schmalen Kanal zwischen Schonen und Bornholm hat auch das tiefer gelegene Bornholm-Becken dieses Bodenwasser erhalten. Unter der Brackwasserdeckschicht mit 8‰ in der oberen Hälfte des Beckens folgt eine sogenannte Sprungschicht, in der der Salzgehalt rasch bis auf das Doppelte zunimmt. Die salzreichere Bodenwasserschicht hat eine Mächtigkeit von rund 20m und findet sich auch im Sauerstoff-Längsschnitt wieder: Zwischen 1 und 3 Milliliter Sauerstoff je Liter lassen sich hier feststellen; die Sättigung läge bei 8 ml/l.

Gegenüber den Spätsommerwerten der SWE-Fahrten 1999, die eine rund 20m mächtige Schwefelwasserstoff-Schicht im Bornholm-Becken ergaben, ist H2S aktuell nicht mehr nachzuweisen. Diese Entspannung geht zurück auf Stürme im Herbst 1999, die zwar nicht zu spektakulären Salzwassereinbrüchen geführt, aber immerhin die Belüftung des Bornholm-Beckens verbessert haben.

Auch der Vergleich zur entsprechenden Monitoring-Fahrt vor einem Jahr ist positiv: Wurden Anfang 1999 weitflächig Sauerstoffwerte unter 0,5 ml/l festgestellt, so sind die jetzt höheren Gehalte eine bedeutend günstigere Ausgangslage für die Entwicklung der nächsten Zeit.

Dies ist für den Dorsch, dessen Laich sich pelagisch (d.h. in der Wassersäule schwebend) entwickelt und der auf einen hinreichenden Sauerstoffgehalt in der Tiefe angewiesen ist, sicher eine gute Nachricht. Aber dennoch: Entwarnung kann für 2000 leider nicht gegeben werden, denn mit der zunehmenden biologischen Aktivität ab Frühjahr wird auch der Sauerstoff verbraucht werden, so daß sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch wieder Schwefelwasserstoff im Bornholm-Becken bilden wird - wenn denn nicht in den nächsten Monaten ostseefreundliche Orkane auftreten.

Für das Gotland-Becken sieht es ohnehin düster aus: Hier breitet sich die anoxische (d.i. sauerstofffreie) Zone seit dem 1993er-Salzwassereinbruch wieder aus, und nur außergewöhnliche Stürme können dem abhelfen.

Meß-Fisch achteraus!

Ruhiges Wetter läßt den Einsatz eines anderen Meßgeräts zu, einer geschleppten Sonde mit dem sprechenden Produktnamen Scanfish. Das Prinzip ist so einfach wie überzeugend: Am Kabel wird der hydrodynamisch geformte Sondenkörper im Kielwasser hinterhergeschleppt, wobei seine Sensoren laufend die Werte für Leitfähigkeit, Temperatur und Druck an den Bordrechner übergeben. Ausgestattet mit selbstregulierenden Steuerflächen und einem Abstandsmesser für die Höhe über Grund, ist das Gerät in der Lage, zwischen Oberfläche und Boden hin und her zu pendeln. In Kombination mit der Schiffsgeschwindigkeit, typischerweise etwa 6 Knoten, ergibt sich auf dem Bildschirm eine Zickzack-Kurve für den Weg des Scanfishs durch das Wasser.

Mit der Schleppsonde am Kabel, das in der Länge etwa fünfmal dem Tiefenwert entspricht, geht die HUMBOLDT auf Westkurs, exakt entlang dem Stationsprofil vom Vortag. Insgesamt 10 Stunden 'zappelt' der Fisch im Kielwasser, bis er am Abend wieder eingeholt wird. Die Operateure sind des Lobes voll über das 'gehorsame Verhalten' des gelb-orangen Weggenossen.

Auch das grafische Ergebnis überzeugt: In feiner Auflösung enthüllen die farbigen Kurven eine kleinskalige Struktur des Wasserkörpers, die mit dem weitmaschigen Stationsprofil nicht zu erfassen ist.

Daten dieser Detaillierung können die Grundlage für dynamische Untersuchungen sein, die die komplizierten Strömungsverhältnisse der unterschiedlichen Wasserkörper analysieren und allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Meeresbewegung entschleiern. So konnte etwa vor einiger Zeit das Phänomen dingfest gemacht werden, daß das Salzwasser beim Einstrom in die Becken einen Kreiswirbel beschreibt, ähnlich dem Zufluß in eine Badewanne - nur eben ein wenig größerdimensioniert und an der Oberfläche nicht erkennbar.

Lokalkolorit

Der Dienstplan auf der A.v.HUMBOLDT, die das Rufzeichen Y3CW führt, sieht 6-Stunden-Wachen vor; gelegentlich führen die 'landgestützten' Arbeitszeitvorschriften allerdings zu Problemen im Bordbetrieb, die dann pragmatisch gelöst werden - Seefahrt hatte schon immer ihre eigenen Gesetze.

Auf der Brücke erhält der Zaungast einen kleinen Einblick in die Navigation, den Seefunk und das Seerettungswesen. Nebenbei erfährt er auch das eine oder andere Histörchen aus dem reichen Erfahrungsschatz der Nautiker, langgediente Seeleute, die schon zu DDR-Zeiten auch andere Weltgewässer gesehen haben als die Ostsee, sei es in der Fischerei, sei es bei Forschungsmissionen.

Am ersten Tag auch Probealarm mit der allfälligen Einweisung in das Verhalten im Notfall. Bei Sonnenschein und ruhiger See nimmt man sie natürlich gelassen, und auch das Hineinwursteln in den steifen Überlebensoverall hat eine humoristische Note.

Doch wenig später, als die See ihre Möglichkeiten andeutet, wird der Landratte doch bewußt, daß die Überlebenschancen begrenzt sind, wenn man die Vorsorge für den Notfall lax nähme.

Vorgesorgt wird auch für das leibliche Wohl. Für 17 Mann Besatzung und 9 Mann wissenschaftliche Nutzlast werden drei reichliche Mahlzeiten am Tag serviert. Sicher wird man nach der Reise einen größeren Bogen um die Badezimmerwaage machen müssen, um Schockzuständen vorzubeugen.

Gemäß den Gesetzen menschlicher Neugier finden sich auf den Stationen anfangs immer mehrere Fahrtteilnehmer ein, die den 'Aktivisten' über die Schulter schauen und mit mehr oder weniger schlauen Fragen und Anmerkungen das Leben schwer machen. Je mehr die Stationsarbeit zur Routine wird, desto weniger neugierige Aufmerksamkeit zeigt sich vor Ort - jetzt wartet man auf Neuigkeiten an der Ergebnisfront. Bei den Nachtstationen überläßt man das Feld ohnehin den eingeteilten Wachgängern, die dann gewissermaßen die Speerspitzen der Forschung sind.

Derweil läßt sich der eine oder andere Freiwächter noch eine Zigarette auf dem Arbeitsdeck schmecken, bevor er vielleicht in der Messe eine Video-Konserve zu sich nimmt oder am Bildschirm Paciencen legt.

Draußen ziehen Schaumkronen vorbei, fahl beleuchtet von den Deckslampen und am Rande des Lichtkreises geisterhaft aufspringend und sich wieder verlierend. Das Schiff wiegt sich in der See, die gurgelnd, platschend, rauschend an der Bordwand entlangwandert und eine quirlende Kielwasserschleppe erzeugt. Ab und zu taucht eine Möwe im Lichtkegel auf und verschwindet wieder lautlos im Dunkel. In der Ferne gelegentlich ein Dampferlicht oder das Aufblitzen eines Leuchtturms, ansonsten eine konturlose pechschwarze Himmelskugel über dem Schiff, ganz anders als an Land, wo sich die Lichter der Städte in den Wolken fangen würden.

Messwertabbruch
Ein Meßwertabbruch - was ist passiert?
Scanfish
Scanfish wird untersucht

Weiter im Stationstakt

Nach dem Scanfish-Schnitt westwärts geht die Reise wieder nach Osten, diesmal zum Ausgangspunkt für ein Nord-Süd-Profil durch das Bornholm-Becken, wo dann spät nachts geankert wird.

Bettliegende im Vorschiff reißt das Kettengerumpel aus der Traumwelt, aber danach bedeutet es einen ruhigen Schlaf ohne Dieselrummeln und Vibrationsgeknarze. Nur die taktweisen Lastwechsel des Körpers, vorzugsweise der Bauchregion, sind weiterhin spürbar, bis sich das Bewußtsein auch darüber wieder hinwegsetzt.

Am nächsten Morgen ist der Himmel bezogen und die See regt sich wieder - zuviel jedenfalls für den Einsatz des Schleppprofilers. Also beschließt der Fahrtleiter einen normalen Stationsschnitt, der die HUMBOLDT quer durch das Bornholm-Becken nach Süden führt.

Dort wird wieder vor Anker genächtigt, um die vorhergesagte Abnahme des Windes abzuwarten. Tatsächlich trifft sie ein, und nach dem Frühstück geht der Scanfish zu Wasser. Gleichmäßig pendelt er auf dem Rückweg nach Norden Stunde um Stunde zwischen 5 und 90m Tiefe auf und ab und liefert seine Meßdaten Kilobyte um Kilobyte an den Bordrechner.

Am Nachmittag kurz vor Erreichen der Aufnahmeposition jedoch Aufregung: Der Monitor zeigt einen Meßwertabbruch - mitten in einem Aufwärtsschlag bleibt die Wegekurve 'hängen' und zeigt eine waagerechte Linie. Ausfall der Tiefensteuerung? Dafür ist die Linie zu glatt. Also irgendein Übertragungsfehler. Gleich, was nun genau passiert ist - der Fisch muß wieder an Bord; immerhin hängen da einige zigtausend Mark an der Winde.

Problemlos holt man das Gerät dann ein, und bald ist auch der Fehler diagnostiziert: Aderbruch im Kabel, vielleicht durch die dauernde Vibration, vielleicht durch die laufende Biegebeanspruchung an der Kabeleinführung. Im Prinzip also nicht dramatisch, aber ärgerlich und kostspielig allemal.

Monitoring, letzte Szene

Da die Stationen im Bornholm-Becken abgearbeitet sind, tritt die HUMBOLDT den Rückweg nach Westen an und nimmt Kurs auf neue Monitoring-Linien südlich von Schweden.

Weit ab von der schwedischen Küste beginnt die HUMBOLDT ihren nächsten Schnitt nach Süden quer durch das Arkona-Becken, gefolgt von einem Schlag nach Nordwesten an Rügen vorbei. Die Meßergebnisse bestätigen und erweitern diejenigen, die vor wenigen Tage auf dem langen West-Ost-Törn gewonnen wurden.

Im letzten Fahrtabschnitt hält sich die HUMBOLDT an ihren damaligen Weg und beprobt die gleichen Stationen nochmals. Dabei überläuft sie erneut die Darßer Schwelle, die ja gewissermaßen das Salzwassertor in die Ostsee darstellt. Auch hier sind die Ergebnisse kaum anders als eine Woche zuvor - erwartungsgemäß im übrigen, denn von einem schweren Sturm mit Tiefenwirkung war nichts zu spüren.

Mittlerweile beginnen an Bord allmählich die Vorbereitungen für das Reiseende - Reinigen der Kammern, Abziehen der Wäsche, Sammlung des Mülls usw.

Die letzten Stunden auf See verbringt das Schiff auf Warnemünde-Reede, bevor es im ersten Morgengrauen ankerauf geht und in die Warnow einsteuert. Der Brückenbesucher erlebt einen routinierten Ablauf: diagnostische Beobachtung des teilweise recht engen Fahrwassers; knappe Steueranweisungen des Kapitäns an den Steuermann, der sie jeweils bestätigend wiederholt; Einlaufmeldungen an die verschiedenen Revierüberwachungsstellen per Funksprech; Bestellung des Festmachers; Mitteilung an den Hafenkapitän usw.

Dann im Fischereihafen Rostock-Marienehe: A.v.HUMBOLDT geht vorwärts in das Hafenbecken; mittlerweile steht der 1.Nautische Offizier am Ruder. Dann ein souverän-sicheres Dreh- und Anlegemanöver mit feinfühligem Einsatz von Ruder, Schraubensteigung und Bugstrahlruder, selbstredend ohne Schlepperassistenz.

Für den Gast geht damit eine Fahrt zu Ende, die nicht nur nützliche Erfahrungen und neue Kenntnisse, sondern auch angenehme Begegnungen brachte - ein verbindlicher Dank an das IOW in Person der Kustodin und des Fahrtleiters, und ebenso an den Kapitän und die Besatzung des Forschungsschiffes A.v.HUMBOLDT.

 

Reinhard Hoheisel-Huxmann
Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven
Abt.Geschichte der Meeres- und Polarforschung