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Volle Kraft voraus für das Freiwillige Jahr

Ein Freiwilliges Jahr am IOW ist anders als ein Freiwilliges Jahr an anderen Einsatzstellen. Wer hat sonst die Chance an einer Ausfahrt auf einem Forschungsschiff teilzunehmen und dort Meeresforschung hautnah mitzuerleben? Ich hatte diese Chance und habe sie genutzt. Vom 4.6. bis 11.6. habe ich an einer Ausfahrt von Wissenschaftlern des IOW aus dem Gebiet der Benthologie teilgenommen. Die Benthologie ist der Teil der Biologie, der sich mit den Lebewesen am Meeresgrund beschäftigt; Muscheln, Würmer und Schwämme um nur einige Vertreter zu nennen. Ziele der Ausfahrt waren zum einen Untersuchungen in der Kieler Bucht und im Fehmarnbelt. Dabei wurde geprüft, an welchen Stellen besonders schützenswerte Lebensräume zu finden sind und welche Lebewesen an diesen Stellen vorkommen. Dadurch sollen Bewertungskonzepte verbessert werden und Lebensraumtypen, die in Richtlinien wie der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU ausgewiesen werden, charakterisiert  werden. Die Arbeit der Forscher bildet so auch eine wichtige Grundlage für den Naturschutz. Zum anderen beschäftigte sich die Ausfahrt mit der Kartierung (dem sogenannten Mapping) in der westlichen Ostsee, durch das die räumliche Verteilung der Biotoptypen ermittelt werden soll. Diese beiden Projekte werden vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) gefördert. Die Daten, die das IOW aus der Untersuchung der Proben gewinnen wird, werden analysiert und die Auswertung dann an das BfN weitergegeben, das auf dieser Grundlage seine Entscheidungen z.B. bezüglich der Einrichtung von Schutzgebieten trifft.

Doch wie sind wir vorgegangen? Wir, das ist die wissenschaftliche Besatzung an Bord: Vier Wissenschaftler, vier technische Angestellte, und ich. Um zu wissen, welche Lebewesen an einem Standort leben, werden Proben von der Oberfläche des Meeresbodens genommen. Dies geschieht mit einem standardisierten Greifer (Van-Veen), sodass die Vergleichbarkeit gewährleistet ist. Um zuverlässige Aussagen über die Artenzusammensetzung an einem Standort machen zu können, werden drei Proben pro Station mit dem Greifer genommen. Außerdem wird das Sediment beprobt, damit auch die Beschaffenheit des Meeresbodens untersucht werden kann. Neben dieser Methode, mithilfe der die genaue Anzahl und Biomasse einzelner Arten bestimmt werden kann, wird außerdem eine sogenannte Dredge genutzt. Dabei handelt es sich um ein Gerät, dass ähnlich wie ein Grundschleppnetz der Fischer bodenlebende Organismen einfängt. So kann man sich einen Überblick über die Artzusammensetzung in einem größeren Bereich um eine bestimmte Messstation verschaffen. Eine weitere wichtige Untersuchungsmethode waren außerdem Videofahrten unter Wasser. Diese ergänzen die direkten Probenahmen und machen es möglich, Aussagen über Organismen zu treffen, die man mit dem Greifer oder der Dredge nicht beproben könnte. Zum Beispiel wurden durch Kamerafahrten bislang unbekannte Seenelkenbestände in der Kieler Bucht gefunden. Neben diesen biologischen Untersuchungen werden auch Messgeräte eingesetzt, um Größen wie die Temperatur, den Salzgehalt und den Sauerstoffgehalt in Bodennähe zu messen. Zusätzlich wird eine sogenannte CTD-Rosette genutzt. Bei einer CTD handelt es sich um ein Gestell, an dem verschiedene Sensoren und eine Reihe von Wasserschöpfern befestigt sind und mit der man aus der gesamten Wassersäule vom Meeresboden bis zur Oberfläche Wasserproben nehmen und kontinuierlich Daten sammeln kann. Diese Daten fließen auch in die Datenbank des IOW ein, sodass später gegebenenfalls auf diese zurückgegriffen werden kann. Um bestimmte Lebewesen auch aktiv beobachten und fotographieren zu können, wurde in ein kleines Aquarium Tiefenwasser gefüllt. Unter anderem konnten so Aufnahmen von zwei Einsiedlerkrebsen gemacht werden. Auch wenn es zunächst ungewöhnlich klingt, sind die Einsiedlerkrebse im Fehmarnbelt häufig anzutreffen, da die Salzgehalte hoch genug sind. Je weiter man jedoch nach Osten kommt, desto geringer wird der Salzgehalt, sodass es vor der Küste bei Rostock keine Einsiedlerkrebse mehr zu finden gibt.

Am dritten und vierten Tag kamen die Forschungstaucher des IOW zum Einsatz. Sie wurden zunächst mit dem Klaashahn, einem kleinen Arbeitsboot des IOW, aus Heiligenhafen abgeholt und nahmen dann gezielt Proben von Hartböden. Dabei ging es unter anderem um sogenannte Makrophyten, also um große Algen. Ein Zuckertang-Exemplar war sogar ungefähr so groß wie ein Mensch. Erstaunlich war, wie viele Algen auch noch in tieferen Bereichen vorkamen. Da das Licht mit zunehmender Tiefe immer schwächer wird, war es ungewöhnlich, dass die Algen bis in mehr als 20 Meter Tiefe vorkamen, als bis in die vermuteten maximalen 18 Meter. Auch konnten die Taucher sogar mit eigenen Augen eine der Besonderheiten der Ostsee sehen: Die Salzgehaltssprungschicht, auch Halokline genannt, die die Grenze von süßerem Wasser oben und salzreicherem Wasser unten bildet. Sie sorgte für Flimmern und Verschwimmen, wie man es zum Beispiel von heißer Luft her kennt.

Da die Proben erst im Institut ausgewertet werden, ließen sich an Bord noch keine genauen Aussagen über bestimmte Ergebnisse treffen. Allerdings ließ sich bei bestimmten Arten schon gut abschätzen, ob sie vorkamen oder nicht. Auf der Ausfahrt wurde unter anderem nach der Vielborster-Gattung Ophelia gesucht, die sich aber leider nicht finden ließ, vermutlich weil es in den unteren Wassertiefen mit unter 7°C verhältnismäßig kühl für die Jahreszeit war. Die Suche war wichtig, weil es sich um einen Indikator für einen geschützten Biotoptypen handelt.

Ich selbst war zunächst für das Fotographieren der Proben aus dem Greifer und der Dredge verantwortlich. Dies ist wichtig, da so auch nach längerer Zeit noch nachvollzogen werden kann, welcher Typ von Meeresboden an der entsprechenden Station zu finden war, oder welche Arten am stärksten in der Dredge zu finden waren. Danach war ich vor allem an den Probenahmen durch den Greifer beteiligt. Ich habe gespült, gesiebt, umgefüllt und das Probenmaterial in die Probengefäße getan. Dies war zu Beginn etwas mühsam, da ich natürlich die Abläufe und Handgriffe nicht von Anfang an gut kannte, sondern diese erst lernen musste. Doch das Learning-by-Doing klappte dann doch besser als erwartet und so wurde das Arbeiten an den letzten Tagen zur Routine. Auch das Wetter spielte mit und zeigte sich von seiner guten Seite, sodass beste Arbeitsbedingungen herrschten und Seekrankheit kein Thema war. Die Art des Arbeitens war wieder eine neue Erfahrung, denn normalerweise arbeite ich im Institut im Büro oder im Schülerlabor. Diese Abwechslung war aber erstaunlich gut, da mir so klar wurde, dass ich trotzdem das Zupacken nicht verlernt habe. Ein Arbeitstag an Bord eines Forschungsschiffes ist zwar lang, doch die Arbeit an Bord ist wichtig und ich weiß nach dieser Ausfahrt die Arbeit derjenigen, die zur See fahren, wirklich zu schätzen.

Für mich selber kann ich also das Fazit ziehen: Diese Ausfahrt mitgemacht zu haben war eine gute neue Erfahrung, und wer die Chance auf eine Forschungsreise bekommt, sollte sie nicht ausschlagen.

Sonnenuntergang
Sonnenuntergang
Der Greifer kommt zurück an Bord
Der Greifer kommt zurück an Bord
Spülen der Greiferproben
Spülen der Greiferproben
Abspülen der Dredge
Abspülen der Dredge
Einsiedlerkrebs
Einsiedlerkrebs (lat.: pagurus bernhardus)