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Faktenblatt / Erklärung zum „Fischsterben“
vor Warnemünde, Nienhagen und Markgrafenheide im September 2025

Die Ostsee ist ein stark mit Nährstoffen belastetes Meer mit hohen landseitigen Einträgen von Stickstoff und Phosphor. Diese Einträge, kombiniert mit der langen Standzeit des Tiefenwassers, führen dazu, dass sich die Nährstoffe anreichern. Die Entwicklung der Nährstoffeinträge besorgt WissenschaftlerInnen seit Jahrzehnten, da sie die zentrale Ursache für die hohe Produktion und die Bildung von Biomasse aus Algenblüten sind. Beim Abbau dieser Biomasse wird Sauerstoff aus dem Wasser verbraucht und es entstehen Meeressedimente ohne Sauerstoff – oft als Todeszonen bezeichnet. Gefördert wird die Entstehung von Sauerstoffmangel im Spätsommer bis Herbst, wenn Organismen absterben und zu Boden sinken. So breiten sich „Todeszonen“ seit Jahrzehnten, von den tiefen Becken ausgehend, in der Ostsee aus und werden vom Langzeitdatenprogramm der Ostsee gut dokumentiert. Wie es an den flachen Küsten genau aussieht, ist weitgehend unbekannt, da hier typischerweise keine permanenten sauerstofffreien Wassermassen entstehen, sondern diese in kurzen Perioden, die teilweise nur wenige Stunden dauern, auftreten. Trotz der Kürze haben diese anoxischen Ereignisse einen starken Einfluss auf das Ökosystem der Küste. Wir beschreiben hier ein Ereignis das im Zeitraum vom 20.09. bis zum 30.09.2025 zu einem massiven Fischsterben geführt hat.

Grafik 1: Zeitliche Darstellung der Entwicklung der Windrichtung und - Geschwindigkeit (oben) und Messwerte von Salzgehalt und Sauerstoffsättigung im Bodenwasser (12m Tiefe) vor Nienhagen.

Um solche kurzfristigen Ereignisse erfassen zu können hat das IOW im Januar 2025 eine gut ausgerüstete Messkette mit wissenschaftlichen Geräten vor Nienhagen verankert. Sie zeichnet Daten zu Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoffgehalt, Trübung des Wassers sowie weitere Informationen auf. Die Geräte messen zeitlich hochauflösend in 4 Tiefenhorizonten und senden diese Informationen an das IOW. Exemplarisch zeigt Grafik 1 die Sauerstoffkonzentrationen im Zeitraum von 20.09. bis 30.09.2025 im Bodenwasser in fast 12 m Wassertiefe. In 12 m liegt zu dieser Jahreszeit auch ungefähr die Sprungschicht, bei der man einen sprunghaften Anstieg des Salzgehaltes verzeichnet. Unterhalb der Sprungschicht liegt das Tiefenwasser, das im Sommer und Herbst oftmals Sauerstoffarm bzw. Sauerstofffrei ist, so wie dieses Jahr.

Vergangene Woche vom Mittwoch bis Sonntag (24.-28.9.2025) veränderte sich die Situation am Boden ungewöhnlich schnell: Die Sauerstoffkonzentration am Boden sank vom 24.09. 5:00 Uhr morgens bis zum 27.09. 19:00 Uhr auf unter 1 % Sättigung (siehe Grafik 1). Zeitgleich gab es einen Temperaturabfall und ein Salzgehaltsanstieg, der von den Messgeräten verzeichnet wurde. Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf eine andere Wassermasse, die das Bodenwasser vor Nienhagen mit einer Wassermasse ohne Sauerstoff verdrängt hat. Diese Wassermasse stammt aus einer größeren Tiefe unterhalb der Sprungschicht, in der das Wasser anoxisch war. Als Konsequenz war selbst in einem Meter Wassertiefe eine Sauerstoffsättigung von weniger als 70% am 27.09. festgestellt worden, hier liegt der Wert normalerweise bei 100 % oder höher (s. Grafik 2).

Ursache für den Transport des sauerstoffarmen Wassers aus größerer Tiefe bis zum flachen Strand war eine abrupt veränderte Windrichtung die nur 6 Stunden zuvor stattgefunden hatte. Am Dienstag (23.09.) drehte der Wind auf nördliche Richtungen und flaute im Tagesverlauf auf 1-3 m/s (1-2 Bft) ab. Hoch „Petralilly“ (1035 hPa) zog aus dem Nordatlantik heran und wurde über Skandinavien wetterbestimmend, während über West- und Südeuropa Tiefdruckgebiete entlang zogen. Aufgrund dieses Druckgradienten stellten sich vorerst östliche Winde an der südlichen Ostseeküste ein (Grafik 1). In Warnemünde wurden stündliche Mittelwerte von 4-5 m/s (3-4 Bft), Spitzenböen jedoch bis 13 m/s (6 Bft) am 24.9. gemessen. An den Folgetagen bis zum 27. September wurden zyklisch in den Nachmittag- bis Abendstunden Windgeschwindigkeiten 5-6 m/s (4-5 Bft), Böen bis 12-13 m/s (6 Bft) registriert, die in den Nachtstunden auf 3 Bft abflauten. Die Windrichtung drehte allmählich von Ost auf Ostsüdost bis Südost. Das Oberflächenwasser wurde in die offene Ostsee gedrückt und durch Tiefenwasser ohne Sauerstoff ersetzt. Dieses Phänomen nennt man auch Auftrieb. Wir alle kennen es vom Baden, wenn im Sommer von einem Tag zum anderen das Wasser plötzlich kalt geworden ist, war meist ablandiger Wind und Auftrieb die Ursache.

Grafik 2: Schematische Darstellung einer Küste von Strand bis in tiefes Wasser mit Messkette, Messgeräten und gelber Boje. Salzreiche und sauerstoffarme Wassermassen sind in violett dargestellt (links). Das windgetriebene Verdrängen des Oberflächenwassers und das Nachströmen des Bodenwassers transportiert die  sauerstoffarme Wassermasse die Küste hinauf bis ins flache Wasser läuft (rechts).

Das Fischsterben ist also nach ersten vorläufigen Ergebnissen eine Folge von stetig zunehmender Eutrophierung, Biomassebildung, Abbauprozessen, die Sauerstoff verbrauchen, und einer wetterbedingten Situation, die einen Auftrieb von sauerstoffarmen Tiefenwasser verursacht hat. Inwieweit sich solche Ereignisse in der Häufigkeit und Stärke verändern ist ein Forschungsthema am IOW.